Wo vergessene Gemüsesorten neu entdeckt werden
Verlorene Ernte
Unser Artikel über vergessene Tomatensorten schloss damals mit dem Versprechen, zu einem späteren Zeitpunkt über den Stand der Dinge berichten zu wollen; also darüber, wie sich die selbst gezogenen Gurken-, Tomaten- und Paprikapflanzen bis zur Ernte entwickeln würden.
Leider kam es anders, da die ohnehin ungünstigen Wetterbedingungen im Norden Deutschlands noch um Vieles schlechter waren als in den Jahren zuvor. Der ungewöhnlich späte Frühlingsstart aus meteorologischer Sicht war ein wesentlicher Grund. Aber an der eigentlichen Missernte waren letztlich die extrem hohen Niederschlagsmengen in einem fast durchweg unterkühlten Sommer schuld.
Das Bild zeigt die relativ späte Blüte Ende Juli. Mitte August standen die Pflanzen dann schon zum gefühlten 150. Mal unter Wasser. Ähnlich grauenhaft ging es auf dem Freiland zu: kleine Früchte, ewig nasser Boden und schließlich Fäulnisbildung, die dann zur Vernichtung der Ernte führte. Hätte dieser ärgerliche Verlust durch die Verwendung von industriell hergestellten Hybridsorten verhindert werden können?
Vermutlich nicht, denn in der Regel sind auch die sogenannten „alten Sorten“ klimatisch kultiviert und eignen sich, wie man bei einem Besuch des Samengartens der Stiftung Kaiserstühler Garten in Eichstetten erfahren kann, auch für Regionen, in ungünstigen Wetterlagen. Die ehrenamtlichen Helfer dieser Einrichtung am Kaiserstuhl beschreiben in der Februar-Ausgabe der Zeitschrift „Lust auf Natur“, wie bei ihnen Tomatensaatgut gewonnen wird.
Natürliches Saatgut
Zunächst werden die hellen Samen aus dem Fruchtfleisch der vollreifen Tomaten gelöffelt, in Becher gegeben und mit Etiketten gekennzeichnet. In einem gut klimatisierten Arbeitsraum findet anschließend eine Gärung statt, bei der die schleimigen Samenhüllen von Mikroben zersetzt werden. Die dabei entstehende Masse wird anschließend zur Vermeidung übler Gerüche und einer unerwünschten Fäulnisbildung mehrfach umgerührt und nach sieben Tagen mithilfe eines Siebs mit kaltem Wasser durchgespült.
Am Ende der Samengewinnung erfolgt in Kaffee-Filtertüten eine sorgfältige Lufttrocknung, sodass die gewonnenen Körnchen bei dunkler, trockener und kühler Lagerung und gleich bleibender Keimfähigkeit über mehrere Jahre verwendbar sind.
Öffentliche Führungen und Kurse
Zwar bietet der Kaiserstühler Garten längst nicht alle der 1.000 verschiedenen Tomatensorten, die hierzulande kultiviert werden. Aber auf der rund 4.000 m² großen Freifläche sind es immerhin 1.000 unterschiedliche Kulturpflanzen, die auf den kleinen und großen Beeten zur Samengewinnung angebaut werden. Darunter befinden sich sehr seltene oder fast vergessene Arten wie Erdbeerspinat, Zibarten oder Gelrübli wie auch einer der Schätze der Stiftung, die beliebte alte Tomatensorte „Berner Rose“.
Besonders erfreulich: Der Samengarten ist für jeden Besucher frei zugänglich. Darüber hinaus finden von Juni bis Oktober am zweiten Sonntag des Monats öffentliche Führungen durch Mitglieder des Fördervereins statt. Wer alles ganz genau wissen möchte, ist in einem der regelmäßig veranstalteten Samenbauseminare bestens aufgehoben. Und unsere Jüngsten sind als zukünftige Kleingärtner an diesem einmaligen Lernort mit ihrer Kindergartengruppe oder der Schulklasse ebenfalls herzlich willkommen.
Einfach ausprobieren
So weit, so gut! Aber was machen jetzt die vielen Gartenfreunde und Interessenten, die solche Raritäten selbst auf ihren Beeten, Balkonkasten oder Fensterbänken großziehen wollen? Kein Problem, denn über eine 70-seitige, aktuelle Saatgutliste lassen sich die gewünschten Gemüsesorten, Hülsenfrüchte, Lauchgewächse und viele weitere Muster zuverlässig finden und bestellen. Größere Saatgutmengen übernimmt dabei der Kooperationspartner des Kaiserstühler Gartens, die Bio-Gärtnerei Samenfest aus dem Breisgau.
Ausnahmsweise sei noch ein kurzes Schlusswort des Autors gestattet, der einen Teil seiner alljährlichen Saatgut-Bestellung vor wenigen Minuten aufgegeben hat: Dies erfolgte erstmalig bei der Stiftung Kaiserstühler Garten – in der Hoffnung, während der nächsten Wochen an dieser Stelle über prächtig und gesund aufwachsende Pflanzen berichten zu können. Es bleibt also spannend!
Bildquelle: Kaiserstühler Garten/ Fred Lübke
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